Alphabetgeschichten: A

Anne Dering setzte sich an ihren Platz im Café. Direkt am Fenster konnte man das draußen pulsierende Leben aus sicherer Distanz beobachten: dabei, aber nicht mittendrin. Sie legte sich Stift und Block bereit.

Der Raum schien wie geschaffen zum Schreiben: Draußen warf die Vormittagssonne ein leuchtendes Dreieck auf die Fassaden der historischen Häuserreihe. Die hohen Häuser und das Vordach sorgten dafür, dass die Sonne nie direkt ins Café strahlte, egal zu welcher Tageszeit. Schwere Vorhänge und gedeckte Wandfarben hüllten den Raum in ein stimmungsvolles Halbdunkel. Das gedämpfte Licht der Hängelampen über den Tischen bildete kleine Lichtpfützen auf dem dunklen Holz. Es duftete nach Kaffee und alten Möbeln.

Auch die Geräusche schienen nur zögerlich ins Café zu dringen, klangen leise und gedämpft, fast wie ein Nachhall dessen, was vor dem Café passierte. Ab und zu stieß die Kaffeemaschine ihr gutmütiges Fauchen aus, wenn Milch geschäumt wurde. Ein gezähmter Drache, der tagsüber in einer Apparatur aus Metall lebte. Abends, wenn die Tür hinter dem letzten Gast verschlossen wurde, durfte er heraus und bekam den Rest vom Kuchen und eine Schale Kaffee (natürlich ohne aufgeschäumte Milch, Drachen trinken ihren Kaffee schwarz!), bevor er aus dem Fenster zum Innenhof in den Nachthimmel entlassen wurde, um nachts unbemerkt seine Kreise über den Himmel zu ziehen und im Wald nach kleinen Tieren zu jagen. Interessante Vorstellung …

Die Bedienung brachte ihr einen Cappuccino und riss Anne aus ihren Gedanken. Draußen hetzte ein Mann vorbei, mit rotem Gesicht. Völlig außer Atem.

Sehr gut. Anne griff zum Stift.


Mit dieser Geschichte beginnen die Alphabetgeschichten. Jeden Montag kommt (voraussichtlich) ein weiterer Buchstabe und eine kleine Geschichte, die mit der vorigen Episode zusammenhängt.

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